Bedeutet eine Rezession mehr Leistungsfälle wegen Zukunftsängsten?
Psychische Belastungen in Krisenzeiten und ihre Relevanz für die BU-Versicherung
Eine Aussage dazu zu treffen ist immer schwierig, da niemand eine Glaskugel hat und das Lesen im Kaffeesatz beherrsche ich leider auch noch nicht.
Rein logisch betrachtet bringen Unsicherheiten im Umfeld immer auch psychischen Stress mit sich. Das gilt unter anderem für global instabile, neue und ungewohnte Situationen wie Kriege und Epidemien und auch für ganz persönliche Stresssituationen wie Isolation durch einen Lockdown und den Verlust des Arbeitsplatzes.
Hinzu kommt auch die Angst vor dem Eintreten dieser Situationen und Ihr persönliches Verhalten.
Machen Sie zum Beispiel mehr Überstunden aus Angst, sonst Ihren Job zu verlieren? Schlafen Sie unruhig, weil Ihr Chef beim letzten Meeting schwere Zeiten angekündigt hat?
Solche Situationen können schnell zu ernsthaften psychischen Problemen werden und damit auch eine Berufsunfähigkeit auslösen.
Das denken Experten
Um verschiedene Einschätzungen aus erster Hand zu bekommen, habe ich mit den Leistungsabteilungen einiger Versicherungen gesprochen.
Michael Kowol, Abteilungsleiter der Risiko- und Leistungsprüfung bei der Basler Versicherung, hält das Risiko von zunehmenden Leistungsfällen aktuell noch für eher gering.
Allerdings hat seine Einschätzung eine wichtige Bedingung: „Solange der Staat mit Hilfen wie zur Corona-Zeit und auch in der aktuellen Situation aktuellen Geldern für Versorger und Bürger (Stichwort “9-Euro-Ticket”, “Tankrabatt”, “Energie Geld”) sehe ich kein erhöhtes Risiko.“
Er räumt zusätzlich ein, dass dies Erfahrungswerte aus der Vergangenheit sind. Ob es auch in der Zukunft so kommt und welche Branchen vereinzelt eventuell stärker betroffen sind als andere, lässt sich nur sehr schwer vorhersagen.
Guido Babinsky, Versicherungsberater mit Spezialisierung auf BU-Leistungsfälle, kann sich hingegen gut vorstellen, dass die Leistungsfälle signifikant ansteigen. Er nennt zwei Gruppen:
- Menschen, denen es finanziell schlecht geht und die versuchen, über die BU-Leistung eine Lösung zu finden – auch ohne schwere Erkrankung.
- Menschen, die durch die wirtschaftliche Lage psychisch erkranken und tatsächlich berufsunfähig werden (z. B. durch sogenannte F-Diagnosen).
Sein Fazit: „Sollte die Rezession tatsächlich kommen, was wir alle nicht hoffen, gehe ich von einem Anstieg der Leistungsfälle in beiden vorgenannten Gruppen aus.“
Sandra John, Bereichsleiterin der Risiko- und Leistungsprüfung bei der LV1871, berichtet, dass sowohl in der Bankenkrise 2008/2009 als auch während der Corona-Pandemie nur eine sehr geringe Zunahme an „echten“ Leistungsfällen festzustellen war.
Sie geht aktuell maximal von einer leichten Steigerung aus – betont aber auch, dass jede Krise anders ist und sich die Auswirkungen entsprechend unterscheiden können.