Am 11. Dezember 2024 hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil verkündet (Aktenzeichen IV ZR 498/21), welches in den folgenden Tagen und Wochen die gesamte Versicherungsbranche aufwirbeln sollte.
Ein Versicherungsmakler wurde nach seinem Blogbeitrag im Januar 2025 mit dem Titel "BGH: Grundfähigkeitsversicherung ist keine Arbeitskraftabsicherung" und dem Fazit, dass die Versicherer die Grundfähigkeitsversicherungen tausender Kunden nun einfach kündigen können in mehreren Medien zitiert.
Am 11. Dezember 2024 hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil verkündet (Aktenzeichen IV ZR 498/21), welches in den folgenden Tagen und Wochen die gesamte Versicherungsbranche aufwirbeln sollte.
Ein Versicherungsmakler wurde nach seinem Blogbeitrag im Januar 2025 mit dem Titel „BGH: Grundfähigkeitsversicherung ist keine Arbeitskraftabsicherung“ und dem Fazit, dass die Versicherer die Grundfähigkeitsversicherungen tausender Kunden nun einfach kündigen können in mehreren Medien zitiert.
Auch wir bekamen eine Presseanfrage, in der wir als Experte zu folgenden Fragen Stellung beziehen sollten:
- Was bedeutet das BGH-Urteil nun für die Bewerbung und die Produktentwicklung von Grundfähigkeitsversicherungen, die ja häufig als Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung angeboten werden? Gerät die GFV jetzt aufs Abstellgleis?
- Müssen Kunden nun damit rechnen, dass ihre Verträge ordentlich gekündigt werden können?
- Müssen bestehende Verträge überarbeitet werden?
- Wie sollen Versicherungsvermittler mit diesen Unsicherheiten umgehen, um nicht in Haftung genommen werden zu können?
Und genau deswegen arbeiten wir das Thema jetzt einmal in aller Ruhe in einem ausführlichem Blog auf. Wenn Sie schon eine Grundfähigkeitsversicherung haben oder gerade mit dem Gedanken spielen eine abzuschließen, dann sollten Sie diesen Beitrag jetzt sehr genau lesen.
Lesen Sie hier gerne mehr über die Unterschiede zwischen Grundfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsversicherung.
Was ist eigentlich passiert?
BGH-Urteil zur Kündigung der Unfall-Kombirente durch die AXA
Die AXA Versicherung hat mehreren Kunden mit einer Unfall-Kombirente eine Kündigung geschickt. Es besteht die Möglichkeit, den Vertrag in eine „Existenzschutzversicherung“ ohne neue Gesundheitsfragen zu übertragen. Wenn der Kunde das nicht wünscht, erlischt der Vertrag zur nächsten Hauptfälligkeit.
Da die Existenzschutzversicherung einen höheren Beitrag verlangt als die bisherige Unfall-Kombirente, war dieses Angebot aus der Sicht mehrerer Versicherter nicht besonders interessant. Sie wollten aber auch ihren Versicherungsschutz nicht aufgeben.
Und somit kam es zu einer Klage, die durch alle Instanzen bis vor den BGH ging.
In der Klage wurde angeführt, dass die Unfall-Kombirente als eine Art Ersatz zur Berufsunfähigkeitsversicherung verkauft wurde und damit mit einer BU-Police gleichzusetzen sei und damit auch die Regelungen nach Paragraph 150 ff. des VVG anzuwenden seien. Wenn das so wäre, hätte die AXA die Verträge nicht kündigen dürfen.
Doch das oberste Gericht verneinte diese Schlussfolgerung mit dem Argument, dass es bei einer Versicherung wie der Unfall-Kombirente keinen Bezug zur beruflichen Tätigkeit gibt und somit der Bezug zur Berufsunfähigkeitsversicherung fehlt. Dies sei eben nicht gleichzusetzen.
(Falsche) Schlussfolgerungen führen zur Grundfähigkeitsversicherung
Was das BGH-Urteil wirklich für die GF-Versicherung bedeutet
Aus der Begründung des Gerichts kann man nun schlussfolgern:
Wenn eine Versicherung keinen Bezug zur Berufstätigkeit hat, dann kann diese nicht nach den Grundsätzen der BU-Versicherung behandelt werden. Und in diesem Fall konnte die Versicherung den Vertrag deswegen kündigen.
Also kann ein Versicherer jeden Vertrag kündigen, der keinen Bezug zum Beruf hat und somit ergibt sich der Schluss, auch eine Grundfähigkeitsversicherung kann durch die Versicherungsgesellschaft von beiden Parteien jederzeit aufgelöst werden.
Unterschiede zwischen Multi-Rente und Grundfähigkeitsversicherung
Risikoträger, Vertragsart und Kündigungsrechte im Vergleich
Bei der Unfall-Kombirente der AXA handelt es sich um eine sogenannte Multi-Rentenversicherung. Andere Beispiele dafür sind zum Beispiel KISS von der Barmenia, Multi-Protect von der Bayerischen oder auch die Multi-Rente der Janitos.
Diese Produkte vereinen, dass Sie neben einer Absicherung bei Unfällen auch Versicherungsschutz bei Krankheiten und Pflegebedürftigkeit beinhalten. Und sie leisten auch beim Verlust von bestimmten Fähigkeiten.
Ebenfalls haben diese Tarife ein weiteres, sehr wichtiges Merkmal: Risikoträger ist jeweils ein Sachversicherer.
Bei einer „echten“ Grundfähigkeitsversicherung sieht das anders aus. Hierbei ist der Risikoträger stets ein Lebensversicherer. Auch sind die Beiträge nach Art der Lebensversicherung kalkuliert und es werden zum Beispiel Deckungsrückstellungen gebildet und in den meisten Fällen gibt es eine Überschussbeteiligung, die aus dem Tarifbeitrag einen Zahlbeitrag macht.
Bei Sachversicherungen ist es üblich, dass beide Parteien (also Kunden und Versicherung) die Verträge kündigen können – zum Beispiel nach einem Schaden oder ordentlich zur Hauptfälligkeit. Werden diese nicht gekündigt, verlängern sie sich immer wieder um ein Jahr.
Bei Lebensversicherungsprodukten sieht das gänzlich anders aus. Mit Ausnahme von Verletzungen der vorvertraglichen Anzeigepflicht kann hier lediglich der Versicherungsnehmer den Vertrag kündigen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob eine berufliche Tätigkeit abgesichert ist, denn sonst dürfte der Lebensversicherer ja auch Rentenversicherungen einfach so kündigen.
Ein schlauer Move des Klägers verunsichert nicht den BGH, aber viele Experten
Strategisches Argument sorgt für Debatte in der Versicherungsbranche
Was tut man, als cleverer Rechtsanwalt nicht alles, um das Beste für seine Mandanten herauszuholen!? Und somit ist es absolut legitim und clever, dass die Seite des Klägers versucht hat, ein Konstrukt aufzubauen, um aus einer Sachversicherung (Unfall-Kombirente) rechtlich ein Lebensversicherungsprodukt zu konstruieren. Denn wenn dies gelingt, dürfte die AXA den Vertrag nicht kündigen.
Und deswegen hat die Klägerseite die Behauptung aufgeworfen: „Was wie eine Berufsunfähigkeitsversicherung verkauft wird, muss auch die gleichen Rechte wie eine BU haben.“
Und damit schließt sich der Kreis, denn die Unfall-Kombirente hat rein gar nichts mit einer BU-Rente zu tun (wegen fehlendem Berufsbezug) und ist deswegen nicht gleichermaßen zu behandeln.
Wenn die Unfall-Kombirente allerdings von Beginn an über die AXA Lebensversicherung angeboten worden wäre, dann hätte es diesen Streit so nie gegeben.
Aus meiner Sicht ist das alles bis zu dieser Stelle eine nette Randnotiz und als ich das Urteil zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich mir: „Schlauer Versuch, aber war irgendwie alles klar.“
Mich wunderte dann jedoch das Echo von so manchem Versicherungsmakler und auch dem einen oder anderen Fachmagazin der Versicherungsbranche.
Welche Auswirkung hat dieses Urteil für Grundfähigkeitsversicherungen?
Entwarnung für Lebensversicherungsprodukte wie die GFV
Kurz gesagt: keine! Zumindest dann nicht, wenn diese nach Art der Lebensversicherung abgeschlossen wurde. Das Gleiche gilt übrigens auch für Schwere-Krankheiten-Versicherungen (Dread-Disease-Versicherung).
Wenn Sie eine solche Police bereits besitzen oder vorhaben, eine abzuschließen, dann können Sie dies unbesorgt tun.
Sofern Sie die Risiko- und Gesundheitsfragen beim Abschluss vollständig und wahrheitsgemäß beantworten, kann das Versicherungsunternehmen nicht mehr aus dem Vertrag herauskommen.
Und das gilt sowohl bevor es zum Versicherungsfall kommt wie auch nach dem Leistungsfall. Wenn Sie wegen des Verlusts einer oder mehrerer Fähigkeiten die Grundfähigkeits-Rente beanspruchen und diese nach einigen Jahren wegen Wiedererlangens der Fähigkeit eingestellt wird, läuft der Vertrag weiter.
Wie stehen Versicherer zur BGH-Entscheidung?
Rückmeldungen aus der Branche bestätigen rechtliche Sicherheit bei Lebensversicherern
Vielleicht denken Sie jetzt: „Das mag sich ja alles ganz schlüssig anhören, aber vielleicht ist das ja trotzdem falsch.“
Und genau deswegen haben wir bei mehreren Versicherungen angefragt und uns eine Einschätzung eingeholt, wie diese das denn in der Zukunft handhaben wollen.
Die Ergebnisse der meisten Versicherer spiegeln unsere Auffassung wider: Wenn Sie eine Grundfähigkeitsversicherung über einen Lebensversicherer abgeschlossen haben, dann kann dieser den Vertrag nicht mehr einseitig kündigen oder verschlechtern.
Andere Versicherungen sehen das noch etwas anders und halten es zumindest für möglich, sich eine Hintertür in die Versicherungsbedingungen einbauen zu können. Dies würde dann allerdings nur für Neuverträge und nicht für bereits abgeschlossene Policen gelten.
Auch wieder ein wichtiger Grund, warum Sie sich unbedingt von einem spezialisierten und unabhängigen Versicherungsmakler beraten lassen sollten.
Auch in Nürnberg versteht man die Aufregung um das Urteil und die Verknüpfung zwischen einer Unfall-Kombirente und der Grundfähigkeitsversicherung nicht. Daher müssen auch Kundinnen und Kunden, die sich bei der Nürnberger versichert haben, keine Sorgen um eine Benachteiligung nach dem BGH-Urteil machen.
Am 25.02.2025 kam dann das finale Ergebnis aus Oberursel. Auch der sowohl in der Berufsunfähigkeits- wie auch in der Grundfähigkeitsversicherung sehr renommierte Versicherer schließt sich unserer Meinung an und stellte klar, dass die Grundfähigkeitsversicherung der Alte Leipziger auch nach dem BGH-Urteil nicht ordentlich von Seiten der Versicherung gekündigt werden kann.
Unter anderem habe ich dort mit dem Leiter der Rechtsabteilung über die Auswirkungen des Urteils aus Sicht der Hannoverschen gesprochen. Final festlegen möchte man sich jedoch noch nicht, plant zur Sicherheit der Kundinnen und Kunden jedoch schon eine Klarstellung in den Versicherungsbedingungen in Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Grundfähigkeit-, Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung – was ist am besten?
Individuelle Absicherung statt Einheitslösung
Wir wissen nun also, dass Sie mit einer Grundfähigkeitsversicherung nach Art der Lebensversicherung immer auf der sicheren Seite sind, wenn Sie Sorge davor hatten, dass der Versicherer hier plötzlich den Vertrag kündigen kann.
Bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung sieht das genauso aus. Nur bei der Unfallversicherung verhält es sich anders. Wobei auch hier – und auch das hat der BGH im oben genannten Urteil bestätigt – Abweichungen zu Gunsten des Versicherten möglich sind.
Es gilt also das, was immer gelten sollte: Bedingungen lesen und verstehen und danach entscheiden.
Generell gilt außerdem: Eine Grundfähigkeitsversicherung ersetzt keine BU. Das kann auch keine Unfallversicherung und auch keine Multi-Rentenversicherung leisten.
Das bedeutet aber nicht, dass die BU immer die richtige Lösung ist. Eine Unfallversicherung kann zum Beispiel gerade in Kombination mit der BUV eine gute Wahl sein.
Und auch eine GF-Versicherung hat mittlerweile eine wichtige Rolle eingenommen und sichert Szenarien ab, die weder durch eine BU- noch durch eine Unfall-Police abgesichert werden können.
BU-Profi-Tipp: Holen Sie sich in jedem Fall kompetente Unterstützung
Komplexe Entscheidungen brauchen erfahrene Begleitung
Es klingt alles so kompliziert für Sie?
Das ist es auch.
Zumindest dann, wenn man sich nicht täglich mit den unterschiedlichen Lösungen beschäftigt, Versicherungsbedingungen prüft und die Rechtsprechung und die dazugehörigen Kommentierungen verfolgt.
Und selbst dann bleibt es kompliziert, wie dieser Fall zeigt. Denn wie Sie sehen, gehen die Meinungen auch bei Juristen, Versicherungsmaklern und Versicherern nicht ganz klar zusammen – und das, obwohl wir hier ein BGH-Urteil haben.
Wenn Sie die für SIE optimale Lösung aus allen Angeboten suchen, dann suchen Sie sich am besten einen Versicherungsmakler, der die oben genannten Kriterien erfüllt und auch die komplexen Zusammenhänge versteht und bewerten kann.
Lassen Sie sich ein Konzept erstellen, das Ihre Bedürfnisse und Ihre individuelle Risikosituation (zum Beispiel auch die Gesundheitsfragen) berücksichtigt und stellen Sie sicher, dass Sie auch nach dem Abschluss einer solchen Versicherung langfristig betreut werden – das ist besonders wichtig, damit Ihre Absicherung langfristig bedarfsgerecht bleibt.
Wenn Sie dafür nicht lange suchen möchten, dann melden Sie sich gerne bei uns.